Geschichte über Bogelf
in Geschichte über Bogelf 16.02.2011 15:08von Sakon •
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Es gibt viele Geschichten über das Sumpfmonster, die dir das Blut in den Adern gefrieren lassen. Keiner weiß genau, welche davon Wahrheit und welche Erfindung ist. Man sagt, dass der schreckliche Herr der Sümpfe Leute, die sich im Wald verirrt haben, in das Moor verschleppt, von wo sie nie mehr auftauchen. Das Monster greift harmlose Wanderer, die in die Nähe seiner Behausung kommen, an und zerreißt sie in Stücke. Dabei verschont er auch Frauen und Kinder nicht. Durch die Dörfer geht auch eine andere schreckliche Geschichte, dass sich das grüne Monster eines Tages sogar bis in ein Haus hineinwagte und alle vernichtete, die dort waren. Die Treppen waren von Blut bedeckt, das Kinderzimmer zu Kleinholz gemacht und alle Wände waren mit übel stinkendem Moorschlamm beschmiert. Die Leute erzählen, dass der Mörder aus dem Wald auf diese Art Rache an seinen Eltern nahm. Nur selten sieht man ihn, aber wer ihn sah, den ließ der blutdürstige Moorgeist nicht am Leben! Es ist schwer zu glauben, aber die Alten erzählen, dass das Sumpfmonster einst ein Mensch gewesen ist... Genauer gesagt als Mensch geboren wurde...
Durchdringendes Kindergeschrei erfüllte das geräumige Zimmer. Die Gebärende, die von den Geburtswehen fast den Verstand verloren hatte und erschöpft von der endlosen Anstrengung und der quälenden Schwüle war, hob unter großer Anstrengung den Kopf vom Kissen, um zum unaufhörlich schreienden Kind zu schauen, das gerade erst ihre Gebärmutter verlassen hatte. Lange neun Monate trug sie dieses Kind unter ihrem Herzen, sang ihm leise Wiegenlieder vor, wie früher ihre Großmutter für sie gesungen hatte und streichelte ihren immer runder werdenden Bauch und stellte sich dabei einen rotwangigen Säugling vor. Die Alten versicherten ihr, dass sie einen Sohn zur Welt bringen würde, da alle Zeichen darauf hindeuteten: Der Bauch war gesenkt und der Hafer fiel vor der Hirse in den Topf. Ihr Mutterinstinkt, vermischt mit gewöhnlicher Neugierde verliehen ihr die Kraft schwer atmend die Arme nach dem schreienden Bündel auszustrecken. Die Hebamme hatte das Kind schon gereinigt und in ein weißes Tuch gewickelt. Mit Tränen in den Augen betrachtete die Mutter das faltige Gesichtchen, das durch die Grimassen des Neugeborenen entstellt war. Es gelang ihr gerade noch der Hebamme den Säugling zurückzugeben, bevor sie die Kraft verließ und sie das Bewusstsein verlor. Ihr Mann trat hinter der Tür ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Als die Hebamme mit dem Säugling an der Schwelle erschien, schaute er ihr fragend in die Augen und zögerte, den zerbrechlichen kleinen Körper auf den Arm zu nehmen. Die Frau legte mit niedergeschlagenen Augen die Decke mit dem Säugling auf den Tisch und ging leise aus dem Zimmer. Der frischgebackene Vater machte einen Schritt und erstarrte vor Schreck. Er hatte erwartet, etwas völlig anderes zu sehen! Nachdem er die Decke zur Seite schlug, strampelte in den Falten des Stoffes ein wimmerndes, absurdes Geschöpf: An einem riesigen Rumpf hingen kurze Beinchen und überproportional lange Peitschenhände, die aussahen, als ob sie von einem anderen Lebewesen genommen und angeklebt worden wären. Der große Kopf zitterte so vom Schluchzen, dass man Angst hatte, dass er vom dünnen Hals abbrechen würde. Das Gesicht war schrecklich anzuschauen: verschrumpelt und runzelig wie bei einem uralten Menschen. Es sah aus wie ein Brocken Fleisch, mit dem einzigen Unterschied, dass zwei schwarze Äuglein ohne Wimpern mit großer Aufmerksamkeit und unter Schmerzen aus ihm herausstarrten, als würde es vorhersehen, dass es in dieser Welt keine Liebe und Zärtlichkeit für es geben würde. Als das Kind für einen Augenblick still war und seinen vom Brüllen schon heißen Mund schloss, konnte man erkennen, dass die eine Seite der Lippen unerbittlich nach unten hing, was seinem Gesicht einen grimmigern und unzufriedenen Ausdruck gab. Auf diese Art erschien das Kind in der wohlhabenden Kaufmannsfamilie. Und schon nach zwei Wochen lag dieser Kleine, verzweifelt zitternd vor Kälte und Hunger in einem geflochtenen Körbchen beim widerlich stinkenden Sumpf und schrie so, dass er sich vor lauter Heulen verschluckte. Die Eltern konnten sich nicht damit abfinden, dass der lang ersehnte Erstgeborene eine hilflose Missgeburt war und beschlossen diese schwere Last loszuwerden. Der Sumpf sollte ihre Schande verschlingen, dieses Geheimnis für immer vor den Menschen verhüllen. Den Nachbarn sagte man, der Kleine sei gestorben, Trauer wurde über das Haus verhängt. Aber das Schicksal hatte ein anderes Los für das ausgesetzte Kindlein vorgesehen. Das unglückselige Kind hing so am Leben, das es mit seinen krummen Pranken nach ihm packte, so dass, als seine Birkenwiege langsam in die Tiefe sank, das Moor Mitleid mit dem Krüppel hatte und ihn zurück an die Oberfläche stieß. Der grüne Sumpf selbst zog das Findelkind groß. Er lernte unter Wasser zu atmen und durch die trübe schleimige Masse zu sehen. Das Moor zog ihn nicht in die Tiefe, sondern wurde sein Zuhause. Anfangs ernährte er sich von kleinen Säugetieren, die im Moor untergegangen waren, danach kam er auf die Beine und jagte sie selbst. Sein Äußeres veränderte sich: von der langen Zeit, die er im Wasser verbrachte, bekam er Kiemen und Schwimmhäute. Die ewige Feuchtigkeit und Kälte färbte seine Haut blassgrün. Sein Körper war von Kopf bis Fuß mit langen borstigen Haaren bedeckt. Die langen, scharfen Nägel seiner Finger halfen ihm seine Beute zu zerreißen, eine kleine Reihe gelblicher Zähne zermalmte die zerbrechlichen Knöchlein junger Krets, wenn es dem Herrscher des Sumpfes gelang, sie zu erwischen. Die kurzen Beinchen standen fest auf der Erde, sein überproportionaler Rumpf streckte sich. Er wurde zu einem dummen, zottigen Riesen. Aber er streckte sich nur, wenn er kämpfen musste. Für die Jagd war es angenehmer für ihn seinen schweren, zottigen Körper auf dem Boden auszustrecken und lautlos durch die Sumpfgewächse zu kriechen, ohne seinen scharfsichtigen Blick von seinem anvisierten Ziel abzuwenden. Nur noch mit großer Schwierigkeit konnte man nun erkennen, dass er einmal ein Mensch gewesen war. Nur in den schwarzen gläsernen Augen blitzte manchmal für einen Augenblick ein unbeschreibbarer Schatten tiefen Schmerzes auf, ansonsten war sein menschliches Äußeres für immer verloren. In seinem Herzen war kein Platz mehr für Mitgefühl und Liebe. Er hatte sich in ein blutdurstiges Monster verwandelt, das einsamen Wanderern auflauert und sie grausam tötet und die Bewohner der Umgebung in Angst und Schrecken versetzt. Bogelf rächte sich an allem was lebte für all das Unglück, das ihm widerfahren war, dafür, dass damals niemand bereit war, dem armen Kindchen Liebe und Mitgefühl zu schenken. Er verfluchte diese Welt, die ihn so grausam verspottet hatte. Als er noch klein war, fiel er zufällig in die Hände eines Jägers. Dieser konnte lange nicht verstehen, was für eine seltsame Beute sich in seinem Netz verheddert hatte. Niemals zuvor hatte er etwas Derartiges gesehen. Bei dem Jäger waren noch zwei andere: ein Kaufmann und sein Gehilfe. Die Menschen ergötzten sich an dem abstoßenden Aussehen des jungen Bogelf, aber als er einem von ihnen verzweifelt in die Augen schaute, war dieser verblüfft und verspürt einen plötzlichen Schmerz in seinem Herzen. Der Kaufmann befahl das Ungeheuer freizulassen. Der Moorgeist merkte sich dieses Aufeinandertreffen und was das Wichtigste war: er merkte sich den Geruch des Menschen, der Stiefel aus weichem, gut gefertigtem Leder trug, und seinen Blick nicht ertragen konnte. Dieser Geruch half dem Monster einige Jahre später das Haus zu finden, das abseits von den anderen stand. Er schlich sich nachts dort hin und veranstaltete eine Blutorgie, der niemand entkommen konnte. Schwerlich konnte der Säugling sich etwas von seinem kurzen Aufenthalt in seinem Geburtshaus merken, aber die schreckliche Übereinstimmung war beängstigend. Vor vielen Jahren waren in diesem Haus die Spiegel mit schwarzen Tüchern verhängt worden – als Zeichen der Trauer um das angeblich verstorbene Kind, das seine Eltern mit seiner Hässlichkeit so erschreckt hatte. Sie nahmen ihm das Leben in menschlicher Gestalt – dafür nahm er ihnen das Leben als solches.
Es ist still im Moor, ab und zu bewegt sich der Sumpf mit einem trägen Glucksen, aber diese Stille ist trügerisch. Das ist lediglich das Schweigen, in das sich das Sumpfmonster hüllt, das geduldig auf neue Beute wartet.
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